OLG Köln, Urt. v. 15.12.2011 - 5 U 53/11 -
Übersicht
Kurzbeschreibung: Der Senat befasst sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen der Kausalitätsbeweis zwischen fehlerhafter Behandlung und Schaden geführt ist.
Angewendete Vorschriften: § 287 ZPO
Vorinstanz: LG Bonn
Oberlandesgericht Köln
5 U 53/11
15.12.2011
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
...
für Recht erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 14. Februar 2011 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 189/10 - wird zurückgewiesen.
Auf die Berufungen der Beklagten wird das am 14. Februar 2011 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Bonn - 9 O 189/10 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
G r ü n d e :
I.
Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
II.
Die Berufung der Klägerin und die Berufungen der Beklagten sind zulässig. In der Sache haben lediglich die Berufungen der Beklagten Erfolg. Die Berufung der Klägerin ist demgegenüber unbegründet, worauf der Senat in der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2011 bereits mit ausführlicher Begründung hingewiesen hat. Wegen des Inhalts dieser Hinweise wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26. Oktober 2011 [Bl. 363-365 d. A.] Bezug genommen.
Der Klägerin steht gegen die Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung materiellen und immateriellen Schadensersatzes wegen ärztlicher Behandlungsfehler zu.
Dies gilt auch dann, wenn der Umstand, dass die Klägerin zunächst lediglich mit Aciclovir-Salbe behandelt worden ist, und dass diese Therapie nicht spätestens nach ein bis zwei Tagen auf die systemische Therapie und damit auf die Verabreichung von Tabletten oder Infusionen umgestellt worden ist, als Behandlungsfehler bewertet würde, obwohl dies nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme durchaus als zweifelhaft erscheint.
Denn der Klägerin ist der ihr obliegende Kausalitätsbeweis nicht gelungen. Es kann nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht festgestellt werden, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter denen die Klägerin zu leiden hat, nicht eingetreten wären, wenn die Beklagten die Klägerin von Anbeginn an systemisch behandelt hätten. Denn unstreitig hat die Klägerin den gefährlichen Virus bereits vor der umstrittenen Behandlung in sich getragen, wobei im Nachhinein nicht feststellbar ist, wie lange dies bereits der Fall gewesen ist, und ob in dem Stadium der Erkrankung im Zeitpunkt der Konsultation der Beklagten eine effektive Therapie überhaupt noch möglich war. Dementsprechend kann es letztlich nur um die Frage gehen, wie groß die Chance für die Klägerin im Zeitpunkt der Konsultation der Beklagten gewesen ist, den Virus erfolgreich zu bekämpfen. Dies entzieht sich indes einer hinreichend sicheren Beweisführung. Ein Erfolg in der Sache ist für die Klägerin dementsprechend in Bezug auf Sekundärschäden, für die ohne eine Möglichkeit der Beweislastumkehr das Beweismaß des 287 ZPO gilt, nicht möglich und wäre für sie in Bezug auf Primärschäden nur möglich, wenn ihr eine Beweislastumkehr zugute käme. Dies ist indes nicht der Fall. Denn von einem im Rechtssinne groben Behandlungsfehler, der als Rechtfertigung für eine Beweislastumkehr allein ernsthaft in Betracht kommt, kann nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme nicht ausgegangen werden. Denn als im Rechtssinne grob kann ein Behandlungsfehler nur bewertet werden, wenn ein eindeutiger Verstoß gegen bewährte Behandlungsgrundsätze vorliegt, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Und dies kann nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme in Bezug auf die Behandlung der Klägerin mit der Salbentherapie nicht angenommen werden. Denn nach den Literaturforschungen des Gerichtssachverständigen Dr. K. wird in drei von 30 Fachbüchern in Fällen der hier in Rede stehenden Art die Salbentherapie befürwortet, wobei es sich bei diesen Werken aus seiner medizinisch-sachverständigen Sicht um anerkannte Fachliteratur aus neuerer Zeit handelt. Und der Sachverständige Dr. E. der Gutachterkommission hat die Salbentherapie jedenfalls bis zum 18. Februar 2008 mit einer durchaus plausiblen Erklärung für richtig gehalten.
Eine abweichende und für die Klägerin günstigere Beurteilung der Kausalitätsfrage könnte allenfalls im Bezug auf einen Verzögerungsschaden angenommen werden, der in einer Verzögerung des Abheilens der Primärinfektion gesehen werden könnte. Denn insoweit könnte die Annahme gerechtfertigt sein, dass eine bereits zu Beginn der Behandlung eingeleitete systemische Therapie effektiver als die Salbentherapie gewirkt hätte. Ob dies tatsächlich der Fall gewesen wäre, und ob dies im Nachhinein hinreichend sicher festgestellt werden kann, erscheint als zweifelhaft, weil die Klägerin nicht vorgetragen hat, dass die von ihr geklagten Beschwerden nach der am 20. Februar 2008 erfolgten Umstellung auf die systemische Therapie umgehend abgeklungen seien. Weitere Feststellungen zu der Kausalitätsfrage insoweit sind indes nicht veranlasst. Denn selbst wenn festgestellt werden könnte, dass sich durch eventuelle Behandlungsfehler der Beklagten das Abheilen des Primärinfektes verzögert hat, könnte die Klägerin auf einen solchen Verzögerungsschaden weder einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld noch ihr Feststellungsbegehren stützen:
Denn der Verzögerungsschaden lässt sich mit einem Schmerzensgeldbetrag nicht greifen, weil es letztlich nur um wenige Tage und insoweit lediglich um eine Differenz der Beschwerden geht, unter denen die Klägerin tatsächlich gelitten hat, und denen, die ohnehin auch dann fortbestanden hätten, wenn sofort mit einer systemische Therapie begonnen worden wäre. Dementsprechend können auch für das enge Zeitfenster von nur wenigen Tagen nicht sämtliche von der Klägerin geklagten Beschwerden berücksichtigt werden, sondern nur ein fiktiver Anteil, der sich theoretisch beschreiben, aber nicht so sicher feststellen lässt, dass dies durch einen Schmerzensgeldbetrag zu erfassen wäre.
Und für die von der Klägerin begehrte Feststellung besteht auch im Hinblick auf einen etwaigen Verzögerungsschaden kein Raum. Denn konkrete Folgen, die an der bloßen Verzögerung des Abheilens des Primärinfektes anknüpfen, sind weder von der Klägerin aufgezeigt worden noch sonst ersichtlich.
Der Schriftsatz der Klägerin vom 16. November 2011 einschließlich des diesem auszugsweise in Kopie beigefügten Briefes der Klägerin persönlich an ihre Prozessbevollmächtigten und auch der Schriftsatz der Beklagten vom 11. November 2011 bieten keine Veranlassung für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO hierfür nicht vorliegen. Die entscheidungserheblichen Fragen sind solche des Einzelfalls.
Streitwert für das Berufungsverfahren: 16.000 Euro
[12.000,00 Euro Berufung der Klägerin;
vom LG nicht zuerkanntes Schmerzensgeld
+ 4.000,00 Euro Berufung der Beklagten;
(3.000 Euro, vom LG zuerkanntes Schmerzensgeld
zuzüglich 1.000 Euro; Feststellung)
16.000,00 Euro]
Unterschriften